Hugo Schuchardt
(1842 Gotha - 1929 Graz)
Hugo Schuchardt zählt zu den ganz Großen seines Faches, der Sprachwissenschaft, insbesondere im Bereich der Romanistik. Er lehrte und forschte von 1876 bis zu seinem Tode im Jahr 1929 an der Universität Graz.
Schuchardt hat mit seinen bahnbrechenden Forschungen der Grazer Philologie hohes internationales Ansehen verschafft. So gilt er etwa als (Mit-)Begründer der Kreolistik und Baskologie. Als entschiedener Gegner der Stammbaumtheorie, die die Sprachentwicklung in Analogie zur Evolutionstheorie Darwin’s betrachtete, entwickelte er den Gedanken der Sprachmischung und der wellenförmigen Ausbreitung von Sprachen. Er war daher vor allem auch ein Sprachtheoretiker, der über die Grenzen seines eigentlichen Faches, der Romanistik, hinaus Neuland betrat und dabei entscheidende Ansätze für die Theoriebildung in der allgemeinen Sprachwissenschaft entwickelte, die zum Teil erst heute wieder systematisch aufgegriffen werden. Er gilt daher als der einflussreichste österreichische Sprachwissenschaftler. Schuchardt war durch seine Korrespondenz mit der gesamten Scientific Community seiner Zeit verbunden. Sein nahezu 14.000 Briefe umfassender Briefwechsel und seine Publikationen wurden vom Grazer Institut für Sprachwissenschaft unter Federführung von Bernhard Hurch im digitalen "Hugo Schuchardt Archiv" frei zugänglich gemacht. Die von Schuchardt testamentarisch errichtete Stiftung wird von der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz verwaltet. Sie fördert Forschung und Ausbildung auf dem Arbeitsgebiet des Gelehrten.
Wissenschaftlicher Werdegang
Die akademische Ausbildung in Deutschland
Der 1842 in Gotha (Thüringen) geborene Schuchardt schloss seine universitären Studien in Jena und Bonn 1864 mit der bis heute exemplarischen Dissertation über den Vokalismus des Vulgärlateins ab. Auch die nachfolgenden Schriften sind in die Forschungsgeschichte eingegangen. Die Leipziger Habilitationsschrift Über einige Fälle bedingten Lautwandels im Churwälschen (1870) markiert den Beginn der Auseinandersetzung mit den Junggrammatikern, die schließlich in dem Pamphlet Über die Lautgesetze - Gegen die Junggrammatiker (1885) einen Höhepunkt finden sollte. Mit der Leipziger Probevorlesung im Jahr 1872 (veröffentlicht 1900) begann insofern ein neues Kapitel der romanischen Sprachwissenschaft, als erstmals die Kontinuitätshypothese bezüglich der Übergänge von Sprachräumen exemplarisch und programmatisch dargestellt und somit die Wellentheorie wissenschaftlich begründet wurde.
Die Grazer Zeit
Schuchardt, zuvor Professor in Halle, nahm 1876 einen Ruf nach Graz auf die erste romanistische Lehrkanzel der Universität Graz an, die er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1900 innehatte. Er war Mitglied zahlloser in- und ausländischer wissenschaftlicher Gesellschaften und Akademien und beteiligte sich weiterhin aktiv am internationalen wissenschaftlichen Diskurs. Bis zu seinem Tod im Jahr 1927 wohnte der Gelehrte in der von ihm in der Grazer Johann-Fux-Gasse 30 errichteten "Villa Malwine", deren Grundstück an das Gelände des Botanischen Gartens angrenzt und von diesem teilweise genutzt wird. In diesem Haus war bis vor einigen Jahren das aus der Lehrkanzel Schuchardt hervorgegangene Institut für Romanistik untergebracht, dem heute vier Professuren und zahlreiche sonstige wissenschaftliche Stellen zugeordnet sind.
Das wissenschaftliche Wirken
Schuchardt hat mehrere eigenständige Forschungsbereiche begründet, etwa die Kreolistik. Auf anderen Gebieten gilt er als Wegbereiter, so etwa in der Sprachkontaktforschung, für die er 1884 den Prix Volney erhielt. Er beschäftigte sich in unterschiedlicher Intensität mit Phonologie, Akzentsystemen, dem Verbalsystem, den Lehnwortbeziehungen zum Lateinischen und den romanischen Sprachen, dem Sprachkontakt und der Sprachverwandtschaft, mit dem Baskischen und der Vorgeschichte des Iberischen, dem Keltischen, dem Georgischen, mit philologischen Texteditionen und gelegentlich auch mit literarischen Fragen.
Der Zusammenhang und die Trennung von sogenannter historischer und elementarer Sprachverwandtschaft, in Anlehnung an die Humboldtsche Terminologie, führte Schuchardt in eine interessante Auseinandersetzung mit der damals akademisch Fuß fassenden Sprachtypologie. Viele seiner Schriften waren und sind umstritten (insbesondere seine zahlreichen Etymologien), aber beeindruckend bleibt, mit welcher Breite und Tiefe sowie Leidenschaft und Akribie er zeitlebens gearbeitet und zu den unterschiedlichsten Bereichen seines Faches Originelles und Relevantes beigetragen hat. Oft war er Traditionalist und Neuerer in einer Person. Gerade Grenzüberschreitungen, wie der Kontakt von Sprachen oder die Herausbildung neuer Sprachen, markierten seinen Weg, auch im wissenschaftstheoretischen Sinn hin zu Nachbardisziplinen, etwa zu der von ihm ante litteras praktizierten interdisziplinären Kulturforschung, in Übergangsbereiche zur Ethnologie (Wörter und Sachen), zur Anthropologie, zur Kulturgeschichte und Pädagogik und schließlich auch zu Fragen von Sprache, Ideologie und Politik. (Eine ausführlichere Darstellung zum Leben und Arbeiten des Stiftungsgründers findet sich im digitalen Hugo Schuchardt Archiv).
Der Nachlass: Werke und Schriften
Den Bestand seiner Privatbibliothek sowie seinen handschriftlichen Nachlass vermachte Hugo Schuchardt der Universitätsbibliothek Graz. Ersterer ist über einen Sonderstandort in die Systematik der Universitätsbibliothek integriert. Dort verwaltet die Nachlassabteilung das vorwiegend aus Briefen bestehende handschriftliche Vermächtnis. Dieses wurde in den 90er Jahren von Michaela Wolf (1993) katalogisiert. Am Institut für Sprachwissenschaft läuft unter Federführung von Bernhard Hurch ein Projekt zur on-line Veröffentlichung sämtlicher Publikationen Hugo Schuchardts auf einer eigenen Hugo Schuchardt Homepage, sowie zur schrittweisen Aufarbeitung der wissenschaftshistorisch und wissenschaftlich interessanten Briefwechsel und anderer nachgelassener Materialien. Die Sammlung der relevanten Sekundärliteratur zu Schuchardt ergänzt dieses Angebot.